Der keltische Jahreskreis – Acht Tore durch die Zeit

 

In den Wäldern der Kelten rauschte die Zeit nicht in Monaten, sondern in Kreisen. Wo unsere Kalender mit Zahlen arbeiten, erzählten die Kelten Geschichten. Ihr Jahr war kein gerader Weg, sondern ein lebendiger Kreis aus acht Festen – Tore, durch die das Leben hindurchschritt. Wer sich heute mit dem keltischen Jahreskreis verbindet, tritt nicht nur in alten Pfaden, sondern in einen Rhythmus der Natur, der auch in unserer Zeit erstaunlich kraftvoll wirken kann.

 

Kein Kalender – ein Tanz mit der Erde

Der keltische Jahreskreis gliedert sich in vier Sonnenfeste (Sonnenwenden und Tagundnachtgleichen) und vier Mondfeste, die meist auf den Vollmond oder die Mitte zwischen den Sonnenstationen fallen. Anders als unser heutiges Jahr war der keltische Zyklus nicht auf das „Funktionieren“ ausgelegt, sondern auf das Fühlen, Deuten und Erleben. Die Natur war kein Kalenderblatt, sondern ein Spiegel der Seele.

 


Die acht Tore – Feste zwischen Licht und Dunkel

 

1. Samhain (31. Oktober – 1. November)

Das keltische Neujahr. Die Zeit „zwischen den Jahren“, wo die Schleier dünn werden und das Unsichtbare anklopft. Samhain war nie ein Gruselfest, sondern ein stilles Gedenken und eine Einladung zur Innenschau. Die Dunkelheit beginnt – und mit ihr eine neue Geschichte.

 

2. Jul (Wintersonnenwende, ca. 21. Dezember)

Wenn die Nacht am längsten ist, wird das Licht wiedergeboren. Die Kelten entzündeten Feuer, um der Sonne den Weg zurückzuweisen – nicht als Bitte, sondern als Versprechen. Jul ist nicht der Anfang, sondern ein zarter Aufbruch im Verborgenen.

 

3. Imbolc (1.–2. Februar)

Imbolc kündigt das erste Flüstern des Frühlings an. Die Erde regt sich unter dem Frost. Göttin Brigid, Hüterin der Inspiration und des Herdfeuers, wird gefeiert. Wer heute in dieser Zeit zündet, entzündet auch sich selbst neu – mit Ideen, mit Mut.

 

4. Ostara (Frühlingstagundnachtgleiche, ca. 21. März)

Tag und Nacht halten sich die Waage. Das Leben kehrt in Fülle zurück. Ostara steht für Balance und für Aufbruch. In keltischer Sicht war dies kein Kinderosterfest, sondern ein kosmisches Innehalten – bevor das Wachstum Fahrt aufnimmt.

 

5. Beltane (30. April – 1. Mai)

Feuer, Tanz, Ekstase. Beltane ist die Hochzeit von Erde und Himmel, von Weiblichem und Männlichem, von Wagnis und Vertrauen. In alten Bräuchen sprangen Paare über Feuer – nicht aus Aberglaube, sondern als Ausdruck des Mutes, sich ganz dem Leben hinzugeben.

 

6. Litha (Sommersonnenwende, ca. 21. Juni)

Die Sonne steht im Zenit. Ein Fest der Kraft, aber auch des Wissens: Ab hier beginnt das Rad sich wieder zu drehen. Litha ist kein stilles Fest – doch es enthält einen ersten Schatten.

 

Wenn das Licht am hellsten strahlt, beginnt bereits sein Rückzug – wie ein Apfel, der in voller Reife schon den Herbst in sich trägt.

 

7. Lughnasadh (1. August)

Das erste Erntefest. Keine Feier der Fülle, sondern der Dankbarkeit und des Maßes. In Lughs Licht erkennt man, was man gesät hat – nicht nur im Feld, sondern im Leben. Opfergaben wurden gebracht, nicht um die Götter zu besänftigen, sondern um das eigene Maß zu ehren.

 

8. Mabon (Herbsttagundnachtgleiche, ca. 21. September)

Die zweite große Waage des Jahres. Licht und Dunkel begegnen sich erneut. Mabon ist die Zeit, in der die Ernte abgeschlossen und das Leben langsam zurückgefahren wird. Es ist ein stilles, reifes Fest – wie ein Blick zurück mit einem Lächeln.

 


Der Jahreskreis als Spiegel unserer Zeit

In einer Welt, die ständig auf „Weiter“ und „Schneller“ drängt, ist der keltische Jahreskreis ein leiser Gegenentwurf.
Er lädt uns ein, in Rhythmen zu denken, nicht in Terminen. In Übergängen statt in festen Grenzen.
Viele spüren intuitiv, dass sie mehr im Einklang mit den Jahreszeiten leben möchten – aber ihnen fehlt die Sprache dafür.
Der keltische Kreis bietet keine Regeln, sondern Resonanzen.

 

Wer ihn nicht nur feiert, sondern lebt, entdeckt vielleicht etwas Ungeahntes: Dass der wahre Kalender nicht an der Wand hängt – sondern in uns schlägt.


Einladung zum Wiedererinnern

Der keltische Jahreskreis ist kein historisches Museum, sondern ein lebendiges Werkzeug, um mit der Natur und sich selbst neu in Beziehung zu treten. Ob mit Ritualen, Festen, Meditation oder einfach mit Aufmerksamkeit für den Wandel draußen vor der Tür: Es geht nicht um Perfektion. Es geht um Verbindung. Und um das stille Staunen, dass auch heute noch – nach so vielen Jahrhunderten – die Natur bereit ist, mit uns zu tanzen.